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Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?
Weißblondes Haar, weiche Stimme, voller Mund: Auch mit 81 Jahren ist ihr Charme noch nicht verflogen. Zwar verstecken sich ihre kornblumenblauen Augen hinter einer überdimensionalen Brille, und sie trägt einen bodenlangen, dunklen Oma-Mantel. Doch Kristina Söderbaum, zuletzt im Jahr 1993 als greise Zugreisende in einem Kinofilm zu bewundern, versprüht auch als alte Frau in einer unbedeutenden Nebenrolle noch Grandezza. Und gibt das Opfer. Wie immer.
In "Night Train to Venice", einem verworrenen Gothic-Horror-Streifen, den der Mitwirkende Hugh Grant einst als schlechtesten Film schmähte, in dem er jemals gespielt habe, wird Kristina Söderbaum ausgerechnet von Neo-Nazis belästigt. Eine vielsagende Rollenwahl. Denn die Schauspielerin, die vor 100 Jahren geboren wurde, verkörperte im "Dritten Reich" die nordische Vorzeige-Arierin und Melodram-Königin.
Ob in "Jugend" (1937) als unterwürfiges, von Selbstzweifeln geplagtes Annchen oder in "Immensee" (1943) als treu liebende Ehefrau Elisabeth: Mit Verve mimte die gebürtige Schwedin in Hitler-Deutschland die opferbereit-unbedarfte Unschuld vom Lande. Eine Rolle, die Kristina Söderbaum wie auf den Leib geschneidert schien - begehrte die Schauspielerin doch selbst dann nicht auf, wenn die Kamera nicht mehr lief.
Mit dieser Eigenschaft manövrierte sich Söderbaum im wahren Leben in die Rolle der naiven Kindfrau hinein, die - so lesen sich zumindest ihre Memoiren - ihrem Schicksal ergeben in alles mögliche hineinschlitterte. Die sich vom eigenen Vater dominieren, von den Nazis vor den Karren spannen, von Ehemann Veit Harlan unterjochen ließ.
Der erste, von dem sich Söderbaum nie zu emanzipieren vermochte, war ihr Vater: der Chemieprofessor und zeitweilige Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees Henrik Gustaf Söderbaum. Statt das schauspielerische Talent Kristinas zu fördern, unterbanden die Eltern ihre Passion fürs Theater. Um dem burschikosen Wildfang den nötigen Schliff zu verpassen, schickten sie ihre Tochter auf ein Internat in Paris. Die Eltern mussten erst sterben, bevor Kristina ihr Schicksal in die Hand nahm und 1934 nach Berlin ging, um Kunstgeschichte zu studieren und Schauspielunterricht zu nehmen.
Doch kaum der elterlichen Autorität entronnen, begab sich die aufstrebende Aktrice in die nächste Abhängigkeit - und ehelichte den 13 Jahre älteren Regisseur Veit Harlan: einen eifersüchtigen, von seiner Arbeit besessenen Tyrannen und Perfektionisten. "Er wollte nicht, dass ich erwachsen werde, er war für mich Papa, Mama, Onkel und Tante in einem", bekannte Söderbaum später in einem Interview.
Reichswasserleiche mit Wasserrohrbruch
Zunächst funktionierte das Töchterchen-Papa-Gespann prächtig: Söderbaum, die auf Befehl Harlans ausschließlich in seinen Filmen mitspielen durfte, war ein kometenhafter Aufstieg innerhalb der NS-Filmindustrie beschieden. Die Frau mit der kindlichen Knubbelnase, dem unwiderstehlichen Akzent und dem sinnlichen Kussmund avancierte in den zehn zwischen 1937 und 1945 gedrehten Harlan-Filmen zum "arischen Supergirl" (SPIEGEL), zur "Gemütsmasseuse" ("Stern") einer ganzen Nation.
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Mit ihrem Blick, aus dem so herrlich die Tränen tropfen konnten, der immer ein wenig fragend wirkte, ganz so, als wüsste die Filmdiva nicht recht, wie ihr geschehe, spielte sich Söderbaum in die Herzen der Massen. Allein "Die goldene Stadt" (1942) schauten sich 31 Millionen Kinobesucher an.
Dass sie sich in gefühlt jedem zweiten Film am Ende anmutig ertränkte, brachte ihr den Spitznamen "Reichswasserleiche" ein - was die Filmdiva selbst nur per Zufall erfuhr: "Det is ja der reinste Kintopp. Unsere Reichswasserleiche schwimmt in ihrem Element", entfuhr es einem Berliner Klempner, als er 1944 in Söderbaums überflutete Wohnung gerufen worden war.
Schöne Arierin, hinterhältiger Jud Süß
Harlan, dem NS-Regime treu ergeben, brachte Söderbaum groß raus - und riss sie mit sich in den Abgrund. Zum lebenslangen Verhängnis wurde dem Film-Duo "Jud Süß": der effektivste antisemitische Hetzfilm, den die Nazi-Filmindustrie hervorbrachte. In Auftrag gegeben von Propagandaminister Joseph Goebbels, befahl Reichsführer-SS Heinrich Himmler, den Film ab 1940 "der gesamten SS und Polizei" vorzuführen; auch Wachmannschaften von Konzentrationslagern wurden damit zu immer grausameren Untaten angestachelt, wie etwa der SS-Rottenführer Stefan Baretzki im Frankfurter Auschwitz-Prozess berichtete.
Auch wenn er sich zunächst geweigert haben mag und von Goebbels angeblich mit dem Tode bedroht wurde: Regie führte Veit Harlan - und so virtuos, dass aus "Jud Süß" nicht einfach ein plumper Propagandastreifen, sondern ein perfider, subtiler und daher besonders infamer Film wurde. In der weiblichen Hauptrolle: Kristina Söderbaum. Sie brillierte als schöne Arierin Dorothea, die von dem hinterhältigen Süß Oppenheimer vergewaltigt wird und anschließend ins Wasser geht.
Wehrte sich Söderbaum mit Händen und Füßen gegen diese Rolle, wie sie in ihren Memoiren versicherte? Oder drängte sie, wie die italienische Autorin Cinzia Romani in ihrem Buch "Filmdivas des Dritten Reiches" betont, geradezu darauf, die Rolle zu bekommen, als sie erfuhr, dass auch Rivalin Viktoria von Ballasko im Gespräch war? Verachtete Goebbels die schwedische Frohnatur, die nicht in sein Beuteschema passte - ließ er sie gar bespitzeln, wie Söderbaum schrieb? Oder flirtete die Aktrice doch lieber mit der Elite nationalsozialistischer Macht, als sie später zugeben mochte?
"Verjährt nicht auch einmal für mich die Schuld?"
Fest steht: Der Hetzstreifen "Jud Süß" sollte für Söderbaum zum lebenslangen Kainsmal werden. Er habe ihr "eine Wunde in die Seele gebrannt", die immer wieder aufgerissen werde, beklagte sich Söderbaum 1983 in ihren Erinnerungen. "Sie ist mein Schicksal, mit dem ich leben muss." Und fügte in der Neufassung von 1993 hinzu: "Oder verjährt nicht auch einmal für mich die Schuld?"
Sie sollte nie verjähren. Zwar wurde Harlan nach dem Krieg vor Gericht von der Anklage der Beihilfe zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit freigesprochen. Moralisch verziehen wurde ihm jedoch nicht. Wo immer das Paar Harlan-Söderberg aufkreuzte, wurde es bespuckt und angefeindet, regelmäßig erhielt es Drohanrufe. Besuchten die beiden Kinopremieren der Nachkriegsfilme des Duos, verteilten Kritiker Niespulver, ließen Mäuse frei, buhten das Paar aus dem Raum.
Hätte sich Söderbaum emanzipiert von dem Mann, den sie laut Eigenaussage schon bald nach dem Zweiten Weltkrieg gar nicht mehr liebte, wäre ihr möglicherweise auch im Nachkriegsdeutschland der Durchbruch gelungen. Noch Anfang der fünfziger Jahre rangierte sie Hierzulande unter den drei beliebtesten Schauspielerinnen. Angebote kamen aus dem In- und Ausland: Ein schwedischer Filmemacher winkte mit einer Hauptrolle nebst Traumvilla, der italienische Starregisseur Vittorio De Sica klopfte bei ihr an.
Kerzen statt Karriere
Doch Söderbaum weigerte sich beharrlich, Filmrollen anzunehmen, so lange ihrem Mann in Deutschland der Prozess gemacht wurde. Statt die beruflichen Chancen beim Schopf zu ergreifen, zündete die Schauspielerin in der Kirche Kerzen für ihren Veit an. Und statt sich scheiden zu lassen, bekräftigte Söderbaum den Eheschwur mit Harlan nach dem Krieg sogar noch mit einer katholischen Trauung.
Warum? Warum musste Harlan erst sterben, bevor Söderbaum ihr Leben 1964 in die eigenen Hände nahm, Fotografin wurde und - viel zu spät - noch einmal eine Handvoll kleiner Rollen übernahm, etwa in der Sat.1-Serie "Der Bergdoktor"?
Wer nach einer Antwort sucht, findet sie in ihren Memoiren. Auf die Frage, welchen ihrer Filme sie am meisten möge, antwortet sie: "Opfergang": jenes Melodram von 1944, in dem Kristina eine unheilbar kranke Frau spielt, die sterben muss, weil sie die Ehe ihrer Nachbarn gefährdet. Es sei der Film, mit dem sich Söderbaum von allen "am meisten identizifieren" könne, schrieb sie 1983, knapp 20 Jahre vor ihrem Tod. Und fügte hinzu: "Außerdem glaube ich daran, dass das stille Opfer für einen anderen Menschen die wahre Menschenliebe in uns ausmacht."